Wachstum oder Gewinn

Am Ende des 19. Jahrhunderts schrieb Oscar Wilde ein interessantes Pamphlet über die Industriegesellschaft, “The Soul of Man”. Er fordert den radikalen Individualismus, dessen Voraussetzung die Abschaffung des Eigentums sei. Maschinen würden eines Tages wieder in ihre ursprünglich vorgesehene, dienende Rolle gezwungen und als die modernen Sklaven, ohne die es bekannlich nicht geht, all die Drecksarbeit verrichten, damit der Mensch frei hat für würdige Tätigkeiten wie dichten, schustern, Wein anbauen.

In diesem rund 30seitigen Artikel steht der Satz, der Mensch finde durch Wachstum (growth) zu sich, nicht durch Gewinn (gain). Damit hat er einen wichtigen Beitrag zur heutigen wirtschafts- und ökopolitischen Debatte geleistet, der bisher ignoriert wird.

Wachstum ist der zentrale Begriff vieler politischer Debatten. Das “ungezügelte” wird dabei meist gegen das “nachhaltige” Wachstum gesetzt. Das ist unglücklich. Wachstum ist ein Begriff aus der Biologie und er meint prinzipiell “nachhaltiges” Wachstum. Das, wovon wir dieses normale Wachstum abgrenzen wollen, ist der Gewinn. Diese Wortwahl kürzt die Debatte ungemein ab, ohne ihr Komplexität zu nehmen, denn mit Gewinn ist präziser benannt, was das Problem ist, es beschreibt nicht das Symptom, sondern die Ursache. Wachstum ist etwas durch und durch Positives und Konstruktives, gerade aus ökologischer Perspektive. Nur wenn Wachstum mit Gewinn verwechselt wird, entstehen die bekannten Probleme.

Ich schlage daher vor, “ungezügeltes Wachstum” durch Gewinn zu ersetzen und “nachhaltiges Wachstum” durch Wachstum, wie Oscar Wilde es ganz selbstverständlich lange vor der Nachhaltigkeitsdebatte getan hat.

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