JERUSALEM SYNDROM

Composition for mixed Ensemble and Oriental Jazzband

Viola, Akkordeon, Bassklarinette, arab.-afrik. Percussion, arab. Gesang, Nay, Raitta, Gitarre, Kontrabass. Tanztheater von Sommer Ulrickson, Sophiensaele Juli 2003, gefördert mit den Mitteln des HKF.

Stereo-Version (im Original 8-Kanal-Installation)

1) Café Noir: Jüdisch-arabisches Tanzlied für Nay-Flöte, Akkordeon, Gitarre, Bassklarinette, Raitta, Geige, Kontrabass, Gnawa-Schellen, Darbouka, Oudou, Berinbao, Hi-Hat.

2) Souira: Viola col legno, Akkordeon (2:09 Min.) und Kontrabass-Duett nach einem armenischen Kirchenlied (3:18 Min.)

3) Rabena: arab. Gebetsgesang (Momo Jenda), Oudou, Viola

4) Wailing Jerusalem: Klavier, Viola, Kontrabass (2:02 Min.) und nach einer Nay-Improvisation von Momo Jenda entwickeltes Stück für zwei Bassklarinetten und Nay (1:19 Min.)

5) M.M.M., für Bassklar., Akkordeon, Kontrabass, Viola.

6) Psalm 55 Song, Gesang, Oudou, Schlagzeug, Viola, Bassklarinette, Nay. 

Thema

Das Jerusalem Syndrom ist ein psychiatrischer Fachbegriff. Es tritt bei Touristen auf, die in Jerusalem von der Erfüllung des mythisch so aufgeladenen Ortes überwältigt werden und in eine Psychose geraten, die sich darin äußert, dass der- oder diejenige sich für eine der biblischen Figuren hält. Sie werden bei ersten Anzeichen eingeliefert und mit unterschiedlichem Erfolg behandelt, bei den meisten Patienten stellt sich Besserung ein, nachdem sie ihren Rückflug angetreten haben.

Raum, Installation

In der unübersichtlichen Altstadt von Jerusalem hört man Muezzin, Kirchenglocken, Gebetsmurmeln und Reiseführer gleichzeitig. Die Tribüne ist dreieckig, auf drei verschiedene Seiten gerichtet (Raum: Alexander Polzin). Das Publikum sitzt also in der Mitte und sieht nur ein Drittel des Bühnengeschehens, hört aber von allen Seiten gleichzeitig einzelne Bestandteile der Musik. Der Raum betont die Unübersichtlichkeit der Stadt. Die Musik folgt der dreiseitigen Tanzhandlung mittels der sieben Klangquellen ringsum, verschmilzt aber, anders als die Handllung, in der Mitte. (Beim Turmprojekt Bablonische Schleife ist dieses Prinzip genau umgekehrt. Die Musik geht von innen nach außen, in alle Richtungen gleichzeitig.)

Choreographie

Im Tanz spielte die Erschöpfung (des Touristen in Jerusalem) und die Trance (durch diese Erschöpfung, gepaart mit religiöser Euphorie) eine wichtige Rolle. Die Möglichkeit des Glaubens heute wurde einerseits anhand nach innen gewandter tänzerischer Auseinandersetzungen untersucht, andererseits wurden die irrwitzigen Formen kommerziell ausgebeuteten Glaubens und Glaubenstourismus gezeigt, wie etwa die TV-Show eines Wunderheilers oder eine Rallye über die Stationen des Leidensweges.

Material

Material waren die spezifisch religiösen Traditionen der in Jerusalem ansässigen Weltreligionen Judentum, Islam und Christentum, insbesondere ihre Mittel, Trance zu erreichen, also Wiederholung, Litanei, Monotonie, aber auch nahöstliche, sufistische und nordafrikanische Tanzrhythmen.

Aus einem der Lautsprecher, einem Megaphon, wie es in arabischen Städten an Hausdächern angebracht ist, kam beispielsweise ein von einem arabischen Musiker aus Berlin auf deutsch im islamischen Gebetston gesungener Psalm, unterlegt mit dem gleichmäßigen, afrikanischen Rhythmus einer bauchförmigen Tontrommel, während aus einer anderen Klangquelle, einer original Goebbelsschnauze aus den 1940er Jahren, eine Komposition für Viola solo zu hören war, die sich mit der Vierteltonmelodie des moslemischen Gebetsgesangs auseinandersetzt. Die Entwicklung der Musik, der Choreographie und des Raumes erfolgten in enger Zusammenarbeit.

Musiker:

  • Momo Jenda: Gesang, Nay-Flöte, Raitta, Percussion, Gitarre
  • Silke Eberhard: Bassklarinette
  • Sophie Bansac: Viola
  • Heiner Frauendorf: Akkordeon
  • Peter Herzau: Kontrabass
  • Raul Gonzalez: Percussion, Schlagzeug