
Komposition für Oud, Viola, Sax, Piano, Percussion.
Die Komposition „Fenster“ geht von Fassadenstrukturen der gotischen Palazzi Venedigs aus, die durch ihre strukturelle Unvorhersehbarkeit auffallen.
Symmetrische Muster werden angedeutet, doch im Detail gebrochen. Die Anordnungen der Fassadenelemente, mathematisch unauflösbar und dennoch schlicht, ergeben eine ametrische Formsprache. Das Experiment der Komposition “Fenster” besteht darin, diese übersichtliche Schrägheit auf musikalische Strukturen zu übertragen.

Sechzig Palazzi, die ich während eines Stipendiums am DSZV aufgenommen habe, bilden eine venezianische Enzyklopädie asymmetrischer Balance. Davon ist rund die Hälfte konkret in die Komposition eingeflossen, in kleine rhythmische Figuren, in Harmonien und in die Gesamtform. Entsprechend ihres Vorbildes wuchs auch die Komposition ohne Grundskizze. Drei Zentren haben sich dennoch herausgebildet, denn einige der rätselhaftesten Fassaden des Katalogs finden sich auf den Campi S. Maria Formosa, S. Margherita und Bandiera e Moro.
Die Fassaden verweisen in ihrer Anordnung und als Membran auf die dahinter liegenden Innenräume, prägen aber gleichzeitig die Atmosphäre des Platzes, kontrastieren die Bewegungen und Klänge, oder die Blicke der vor dem Palazzo Gritti-Badoer wartenden afrikanischen Händler. Beim Komponieren von außen, durch die verbrachte Zeit an den Orten, wird der Außenraum mehr und mehr zum Innenraum, die Fenster zu Augen und Ohren. Und schließlich ist der Titel ein Synonym für die Stadt selbst, die immer das Fenster eines ganzen Kontinents war.

UA am 10.03.2012, Venedig, Conservatorio, Campo S. Stefano, 17h, Ensemble Laboratorio Novamusica
Veranstaltet vom Deutschen Studienzentrum in Venedig / Centro Tedesco di Studi Veneziani

Links: http://www.dszv.it +++ http://www.laboratorionovamusica.it
Vorstudie “Piano Pianino” und nähere Projektbeschreibung
Komposition für Pianoforte, Venedig, Nov 2010
Piano: Fläche, Ebene, Stockwerk; leise, leicht, sachte, zurückhaltend, verständlich; Entwurf, Projekt; Klavier Pianino: allmählich, mit der Zeit, langsam
Das erste Stück im Kontext des venezianischen Kompositionsprojektes Colpi di Scena, Piano Pianino, entstand für einen Werkstattbericht im Centro Tedesco di Studi Veneziani am 10.11.10. Es enthält erste modellhafte Umsetzungen. Architektonische Strukturen, die durch ihre unwiederholbare Asymmetrie überzeugen, werden auf harmonische und rhythmische Strukturen am Klavier übertragen.

Ausschnitt
Die Recherche speist sich aus dem Überdruss an einer Architektur des Rasters und an weithin dominierenden Designs, die am Computer entstehen und ihre Gestalt den Angeboten zu verdanken haben, die von der Software bereitgestellt werden. So ähnlich wie Musikprogramme und Grafikprogramme zu typischen Entscheidungen verleiten, wenn man ohne Intention an sie herantritt, passiert das in der Architektur. Geradezu eine Regel ist es bei Gebäuden, die nicht den Gesetzen der Architektur folgen, sondern denen des real estate.
Es gibt auch andere Gründe, warum Gebäude ohne Identität und Charakter entstehen. Dass in Venedig so viele eigenwillige Exemplare mit souveräner Formsprache zu finden sind, liegt zum Teil auch am bougeouise-oligarchischen Staatsmodell der venezianischen Republik. Wer es durch Welthandel zu etwas gebracht hatte, wollte ein Unikat an den Kanal stellen und sich nicht einreihen, wie es eher den späteren Konzepten sozialistisch orientierter Staaten entsprach, deren Höhepunkt wahrscheinlich nicht einmal in der legendären Regelung der DDR zu finden ist, dass jeder, der Fassadenornamente an seinem Haus abschlägt, eine Prämie bekommt. Der Höhepunkt der gleichgeschalteten Architektur ist erst in den Neubauten Berlins nach 1990 zu finden. Logarithmus-Missbrauch, verursacht durch eine Mischung aus kultur- und geschmacklosen Bauherren einerseits, oft internationale Investoren, die mit dem Ort ihrer Investition nichts am Hut haben, und andererseits korrupten hohen Beamten im Berliner Senat.
Venedigs heutiges Erscheinungsbild gibt noch viele Beispiele für Formen, die sich nicht wiederholen lassen und jedem Ansatz entziehen von jener faktischen Gleichschaltung, mit der sich der demokratische “Kapitalismus” inzwischen architektonisch ad absurdum führt.




In abgelegenen Zonen
Piano Pianino ist ein Entwurf. Das Projekt zielt auf ein sachtes Klavierstück, das von der Oberflächenstruktur einiger Gebäude ausgeht, von der Struktur der Stockwerke untereinander und in sich. Die Übertragung geschieht experimentell durch verschiedene Versuche und Techniken. Was sich optisch auf einen Blick vermittelt, kommt akustisch-musikalisch erst allmählich und mit der Zeit zum Tragen.






Recherche Venezia
In Venice there are many corresponding elements to be found, but hardly any schemes. That makes this city a layout for music. Correspondencies of colour, of mouvement, of texture and material.

There are layers of time and movement, different speeds of a walking man, a boat and a bird, all on the irregular beat of the stones.



More and in a different way than in any other city i know, there is a phenomenon in Venice’s architecture, that can be a model for musical compositions. One could call it a structural unpredictability. You can not anticipate the right wing of a building by knowing its left wing. You can not anticipate what you will see behind the next corner, if you haven’t lived here for a long time.
One of the reasons is: the light changes with the tides and the seasons.
During October and November 2010 i’m taking pictures in the city with my telephone and develop a model to transform some of the structures into music.


Great architects like Palladio only built churches in Venice, no private palazzo. They didn’t succeed with their hermetic universe of scheme. It worked out on the countryside, but not in Venice, nobody can bring any scheme to the lagoon from outside without destroying the grown logic of hundreds of generations of how to deal with the water and the swamps. Venice is just Venice, no comparison to other settlements is possible. Every fassade is just itself, every window is itself, has it’s own logic, unrepeatable, no matter what the architect had conceived. Sometimes interior necessities like an extra chimney or a staircase that was too dark have led to an extra window out of the line. Maybe the rio is narrow on one side and much broader on the other, then more windows are on that side.

Most of the times, though, there seems to be no other explanation than just a sane intuition of form, since asymmetrically corresponding elements are much more joy than symmetric schemes.

Of course, the water plays an eminent role also in the phenomenological sense. Some more tilted symmetry is added by the water reflections, more “crippled symmetry”, to use a term by Morton Feldman, that is relying strongly to this whole subject.

The contrast between fluid and stone plays an important role in this project, of course. When the tide is high and the water covers the streets, water and stone melt into each other. On a photograph it’s unclear which part is fluid, the traces of rust on the wall or the gelatine-like, seemingly frozen water.

In between the stone and the waters, there is the laundry, the transition between humid and dry.


