Beim Schimpfen über das demagogische Wahlprogramm der Linken wird übersehen: aus Kunstperspektive ist das Programm gelungen. Während CDU und SPD vor lauter Realpolitik zu Vollzugskommandos der Globalisierung werden und dabei moderat klingen, solange die schrillen Töne der FDP sie wie eine Hundemeute jagen, und während die Grünen der Herausforderung gegenüberstehen, einen längeren Atem zu brauchen, als man vermutet hätte, weil sie trotz der breiten inhaltlichen Bestätigung ihrer Forderungen nicht entsprechend an Wählerstimmen hinzugewinnen, während all dessen glänzt die Linke durch launische Lässigkeit. Zumindest könnte man ihre Forderungen, wenn man sie für sich betrachtet, so sehen. Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr, die Erhöhung bzw. Abschaffung von Hartz IV, ein Mindestlohn von zehn Euro, ein Konjunkturprogramm über 200 Milliarden Euro (100 jährlich für staatliche Investitionen und 100 für einen „Zukunftsfonds“) und die Auflösung der Nato, die durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands ersetzt werden soll. Sogar ein paar grüne Töne sind drin nach der letzten Europawahl. Das hat etwas Verwegenes, etwas Freies. In dem Verhau eines Wahljahres, dessen Protagonistin am liebsten mit der gleichen Mannschaft weiterregieren würde, weil sie verständlicherweise die “Liberalen” nicht ausstehen kann, die aber so tun muss, als wollte sie die SPD loswerden, diesen Rest einer alten Partei, der übrigblieb, nachdem Schröder sie kastriert hatte, in diesem Verhau wurde einfach mal ein dicker Balken Farbe aufgetragen, beherzt und mit einem guten Gespür für das Verdrängte, das Unmögliche, das als notwendige Perspektive an den real existierenden Umständen haftet. Da wird nach Luft geschnappt. Da werden sofort vorsitzende Sachverständige aufgefahren, ein Sachverständigenrat sogar:
FAZ: Zur Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Euro sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrats, der Mannheimer Ökonom Wolfgang Franz, dies gefährde mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze. „Dann können wir die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gering qualifizierter Arbeitnehmer vergessen“, warnte Franz gegenüber dieser Zeitung. Angesichts der wachsenden Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt in der Krise passe die Forderung „wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge“.
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Die Linkspartei hatte lange Zeit einen gesetzlichen Mindestlohn von 8 Euro verlangt. Der Parteitag hat nun aber die Latte noch höher gehängt, obwohl einige Delegierte davor warnten. Der gewerkschaftsnahe Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel, der prinzipiell einen Mindestlohn von 7,50 Euro befürwortet, äußerte Zweifel, ob die höhere Forderung der Linken realistisch sei. „Ich glaube, 10 Euro sind nicht zu finanzieren“, sagte Hickel. Einige Branchen hätten Schwierigkeiten mit einer so hohen Lohnuntergrenze.
Die Linke formuliert, das ist ihr Prinzip, am frechsten das, was den Geschwächten gefällt – erstmal unabhängig davon, ob es umsetzbar ist. Da sie nicht an die Macht kommen wird, ist das auf eine gewisse Art legitim, sogar genau das Richtige. Die Haltung, die ich gerne darin erkennen würde, wäre ungefähr diese: Lass uns doch einfach mal das ins Programm schreiben, was wir uns wünschen, und wenn man uns vertraut, tun wir alles, um das so gut wie möglich umzusetzen.
Ein umsetzbares Wahlprogramm ist ein Widerspruch in sich. Das Umsetzbare gibt es in der Politik nicht a priori. Was umsetzbar ist, zeigt der politische Alltagskampf. Im Programm darf eine Utopie erkennbar sein. Ist ein Mindestlohn von zehn Euro wirklich nicht “finanzierbar”? Was sind unsere Prioritäten heute? Die Utopie des Mindestlohnes von zehn Euro macht Spaß inmitten eines Umfeldes von Floskeln. Leider ist das Ganze unausgegorener, als ich es mir wünschen würde. Was wollen wir zuerst kürzen, um keine Waffen verkaufen zu müssen? Wo genau steckt das schmutzige Geld eigentlich? Warum steht davon nichts im Wahlprogramm der Linken?
Letztlich erfüllt die Mannschaft der Linken mit Ausnahme der beiden Rhetoriker an ihrer Spitze nicht den Schalk, den ich aus diesem Programm heraushöre. Es sind ein paar Leute darunter, von denen ich nicht regiert werden möchte. Da so eine Gefahr in diesem Gartenzwergland ohnehin nicht besteht, darf man getrost die künstlerische Qualität des Programms loben, den kühnen groben Strich.
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