Upper Eastside Berlin

Die Ecke Friedrichstraße/ Unter den Linden ist nicht mehr so berühmt wie in den 1920er Jahren. Das spiegelt sich in den Neubauten. Auf einer frischen Fassade an der legendären Ecke steht in goldenen Lettern eine stolze Botschaft: “Upper Eastside Berlin”. Das erinnert in seiner freiwilligen Selbst-Provinzialisierung an Kneipen, die keine Live-Musik anbieten, sondern “Life Music”, oder an Bierinstitute namens “By Rudy’s” oder “Texas In”. Hauptsache es klingt entfernt englisch. Doch “Upper Eastside Berlin” geht einen Schritt weiter. Während die Bewohner von Manhattans Upper East Side infolge der dortigen Mietpreisentwicklung nach Berlin umziehen und dort nach etwas Anderem suchen, begrüßen sie die hiesigen Bauherren wie der Igel den Hasen. Berlin-Mitte wird freiwillig und schriftlich zur Provinz erklärt, zum Ableger, zur Mall. Es wird neu gebaut, das ist erfreulich, doch die orientierungslosen Bauherren folgen der Logik des Real Estate. Sie machen das immer teurer werdende Manhattan zum Logo. Sie machen Berlin einerseits zu einem austauschbaren Ableger. Gleichzeitig bereiten sie dieselbe Mietpreisentwicklung vor, die Manhattan in den 1990ern verwüstet hat: von Leben befreit. Drittens wissen sie vermutlich von alledem nichts. Das ist das Frustrierendste. Immobilienfachleute oder andere überforderte Entscheidungsträger denken sich, “Upper Eastside” klingt doch irgendwie zentral und teuer. Sie hantieren mit Geld, aber vor keinem Horizont, und schon steht es dort.

Die Verwüstung Manhattans durch die Mietpreisentwicklung der letzten zwanzig Jahre, also die Abwanderung der Jugend, der zugewanderten Communities, der Kreativkultur und des Prekariats, wiederholt sich in Berlin. Das verkündet die Inschrift. Zugleich zeigt sie, dass es noch ein paar hundert Jahre dauern wird, bis diese Stadt nicht mehr provinziell ist. Das macht einen Teil ihres Charmes aus. So halbherzig die Entnazifizierung durchgeführt wurde, so effizient und nachhaltig gelang die Provinzialisierung Berlins zwischen 1933 und 2010. Nazis, Zone, Neoliberalismus, war es dieser Dreischritt?

Wohin schwärmen die ehemaligen Bewohner der Upper East Side Manhattan als nächstes, wenn sie dann auch aus der “Upper Eastside Berlin” vertrieben worden sein werden? Werden dort, in Odessa oder Ulan-Bator, Neubauten mit der Inschrift “Mitte” eine im globalen Netz gar nicht mehr begehrte zentrale Lage behaupten?

Wie gehen wir damit um, dass ein Prozess vorhersehbar ist, der aus Berlin ein weiteres Nowhere macht? Wir schauen sehenden Auges zu. Freiwillig provinzialisiert aus einer kulturfreien Großspurigkeit der zufällig zu Entscheidern gewordenen Bauherren, einer Großspurigkeit, die strukturell bedingt ist. Übrigens hat immer noch niemand den Werbe-Pfahl der “O2-World” gefällt (inzwischen: Mercedes Benz Arena, Anm. d. Red.). Und auch hier hat Leonard Cohen Recht: First we take Manhattan, then we take Berlin.

And then we take Ulan-Bator  – und die Leute, die sich befremdet fühlen von behaupteter Zentralität durch den Rückgriff auf andere, längst schon vergangene Zentren, ziehen aufs Land, in die echte Provinz, falls noch vorhanden, während die Städte zu Kopien von Kopien werden.


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